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Wissenslücken zu nicht aus Kunststoff bestehenden Lebensmittelkontaktmaterialien schließen

Wussten Sie, dass es auf europäischer Ebene Rechtsvorschriften für die Verwendung von Kunststoffen und einigen keramischen Werkstoffen in Lebensmittelkontaktmaterialien gibt und die EFSA deren Unbedenklichkeit bewertet, dass dies aber für eine Vielzahl anderer Materialien – wie Beschichtungen, Papier und Pappe, Klebstoffe, Druckfarben und Gummi – nicht gilt? Geringe Spuren solcher Materialien, die in Verpackungen, Behältnissen, Besteck und sonstigen Bedarfsgegenständen verwendet werden, können in Lebensmittel übergehen und ein potenzielles Gesundheitsrisiko für Verbraucher darstellen. Zu vielen der Stoffe, die in diesen Materialien vorkommen, liegen jedoch keine detaillierten wissenschaftlichen Informationen vor, was diesen Bereich der Lebensmittelsicherheit zu einer besonderen Herausforderung macht.

Einige Mitgliedstaaten nehmen Sicherheitsbewertungen von Materialien, die nicht aus Kunststoff bestehen, vor und erstellen nationale „Positivlisten“ zulässiger Stoffe. Vor kurzem hat die EFSA ein Expertennetzwerk aus Vertretern von nationalen Behörden, Hochschulen, Forschungszentren und Dienststellen der Europäischen Kommission sowie des Europarats gegründet, um die in diesem Bereich vorhandenen Fachkompetenzen, Erkenntnisse und Informationen zu bündeln. Im November 2014 kam das Expertennetzwerk zu seiner ersten Sitzung zusammen, um sich über die jüngsten Aktivitäten, Ansätze und Herausforderungen im Zusammenhang mit der Risikobewertung Spezialgebiet der angewandten Wissenschaften, in dem wissenschaftliche Daten und Studien ausgewertet werden, um die mit bestimmten Gefahren einhergehenden Risiken zu beurteilen. Dies umfasst vier Schritte: Gefahrenidentifizierung, Gefahrencharakterisierung, Expositionsabschätzung und Risikocharakterisierung. dieser Materialien auszutauschen.

Networking und Wissensgemeinschaften

Manchmal besteht die größte Schwierigkeit allein darin, Experten mit ähnlichem Erfahrungshintergrund, die vor vergleichbaren Herausforderungen stehen, an einen Tisch zu bringen.

Dr. Bianca Van De Ven vom nationalen Institut für Gesundheit und Umwelt (RIVM) der Niederlande sieht daher in dem Netzwerk „eine nützliche Plattform, um Kontakte zu knüpfen und sich über die neuesten Entwicklungen zu informieren“.

Auch Gilles Rivière, Leiter des Bereichs für physikalisch-chemische Risikobewertung der französischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, Umwelt- und Arbeitsschutz (ANSES), bewertete das Netzwerk „als gute Gelegenheit, sich zu vernetzen und Kenntnis von den Arbeiten in anderen Ländern zu erlangen, um aus diesen Erfahrungen für eigene Projekte profitieren zu können“.

Ressourcen bündeln, Allianzen bilden

In besagten Materialien wird eine Vielzahl von Stoffen verwendet, darunter viele, zu denen keinerlei wissenschaftlich fundierte Informationen vorliegen. Für die meisten Länder besteht die einzige tragfähige Lösung dieses Problems in der Zusammenarbeit.

Dr. Jitka Sosnovcová ist als Wissenschaftlerin am nationalen Institut für öffentliche Gesundheit (SZU) der Tschechischen Republik tätig und leitet auch das nationale Referenzzentrum für Lebensmittelkontaktmaterialien, das analytische Untersuchungen von Materialien durchführt, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen. „Die meisten Materialien sind bei uns in Rechtsvorschriften geregelt, und für den überwiegenden Teil von ihnen haben wir Positivlisten erstellt sowie Migrations- und Rückstandsgrenzen festgelegt, allerdings auf der Basis alter Bewertungen. Ich arbeite seit über 20 Jahren auf dem Gebiet der Lebensmittelkontaktmaterialien und bin mir daher durchaus bewusst, wo noch Wissenslücken bestehen. Doch unsere Mittel sind begrenzt, und so verlassen wir uns etwa bei Beschichtungen, Gummi sowie Metallen und Legierungen auf die Arbeit anderer nationaler Behörden.“

Dr. Van De Ven stellte drei Präsentationen zu den niederländischen Fortschritten bei Beschichtungen, Papier und Pappe sowie Metallen vor; aber auch ihr Land würde es vorziehen, den Arbeitsaufwand mit anderen zu teilen. „Für neun verschiedene Arten von Lebensmittelkontaktmaterialien haben wir schon Positivlisten erstellt, unter anderem für Beschichtungen, Gummi sowie Papier und Pappe; damit verfügen wir über umfangreiche Erfahrung auf diesem Gebiet, die wir gerne bereit sind, mit anderen Ländern zu teilen. Aus unserer Sicht ist es jedoch nicht sehr effizient, wenn jedes Land für sich diese Listen auf dem neuesten Stand hält; daher suchen wir die Zusammenarbeit mit anderen.“

Selbst in größeren Ländern besteht eine große Bereitschaft zur Kooperation, wie Gilles Rivière betont: „Wir möchten unnötige Doppelarbeit vermeiden und uns vielmehr in laufende Projekte einbringen; deshalb sind wir beispielsweise zur Unterstützung von Ländern wie Belgien und Deutschland bereit, die schon in größerem Umfang Daten zu nicht aus Kunststoff bestehenden Materialien mit Lebensmittelkontakt erhoben haben.“ 

Europaweite Ansätze

Seit Jahrzehnten legt der Expertenausschuss des Europarats Listen verwendeter Stoffe vor, mit denen er die Regulierung und Risikobewertung von Beschichtungen, Papier und Pappe, Druckfarben sowie Metallen und Legierungen in den Mitgliedstaaten unterstützt.

In der Europäischen Union hat die Europäische Kommission einen Fahrplan aufgestellt, nach dem sie konkrete Ziele verfolgt, wie die Durchführung von Folgenabschätzungen, die Erarbeitung von Grundlagen und die Entwicklung möglicher politischer Maßnahmen für die Zukunft. Die Befürworter eines auf EU-Ebene stärker harmonisierten Ansatzes sind zahlreich.

„Die Bewährungsprobe des Netzwerks wird darin bestehen, sich auf gemeinsame Leitlinien für die Sicherheitsbewertung zu einigen, die in einen einheitlichen Ansatz für alle Mitgliedstaaten münden“, erklärte Dr. Sosnovcová.

Prof. Perfecto Paseiro Losada von der Universität Santiago de Compostela ist seit 2002 als Berater zu Lebensmittelkontaktmaterialien für die spanische Regierung tätig. „Behörden, Verbraucher und Industrie betrachten den Aspekt der Sicherheit jeweils aus einem anderen Blickwinkel. Ich beteilige mich an diesem Netzwerk, um herauszufinden, ob ein neuer harmonisierter Rechtsrahmen zum Schutz der Verbraucher zustande kommen kann.“

Dem sind jedoch Grenzen gesetzt, wie Dr. Van De Ven einräumt: „Die Resolution des Europarats zu Metallen und Legierungen hat Maßstäbe gesetzt. Wir würden harmonisierte EU-Rechtsvorschriften als positive Entwicklung begrüßen, aber dies scheint zum jetzigen Zeitpunkt nicht sehr wahrscheinlich.“

Präsentation nationaler Forschungsprojekte

Ein weiteres Ziel des Netzwerks ist es, auf abgeschlossene, laufende und auch künftige Forschungsprojekte aufmerksam zu machen.

Das Labor von Dr. Sosnovcová führt Forschungsprojekte durch. „Aktuell befassen wir uns im Rahmen zweier durch nationale Fördermittel unterstützte Forschungsprojekte mit Lebensmittelkontaktmaterialien, wobei der Schwerpunkt auf Methoden zur Quantifizierung und Qualifizierung der Freisetzung von Stoffen aus Papier und Pappe sowie auf Methoden für die Bestimmung der Migration aus mehrschichtigen Materialien liegt.“

„Wir haben Beschichtungen untersucht, um die wichtigsten migrierenden Stoffe, Ausgangssubstanzen und Zerfallsprodukte zu ermitteln“, erläutert Prof. Losada. „Gegenwärtig geht es bei unserer Arbeit darum festzustellen, welches die am häufigsten eingesetzten Arten sind, da dies noch unklar ist; davon ausgehend wollen wir dann festlegen, welche Stoffe vorrangig zu untersuchen sind.“

Auch Gilles Rivière stellte die von Frankreich unterstützten laufenden Hochschulforschungsarbeiten zu Papier und Pappe vor und hofft „dem Netzwerk in naher Zukunft die Ergebnisse präsentieren zu können.“ 

Und was tut die EFSA? 

Für Stoffe, die in Kunststoffmaterialien verwendet werden, ist das Wissenschaftliche Gremium der EFSA für Materialien, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, Enzyme, Aromastoffe und Verarbeitungshilfsstoffe (CEF) zuständig, das wissenschaftliche Bewertungen in diesem Bereich durchführt. Der britische Chemiker Dr. Laurence Castle ist Mitglied des CEF-Gremiums.

„Ich bin an den Erfahrungen interessiert, die andere Mitgliedstaaten mit Risikobewertungen gemacht haben, und möchte mir zusätzliches Fachwissen aneignen. Der Bereich der Materialien, die nicht aus Kunststoff bestehen, weist Ähnlichkeiten mit dem Kunststoff-Bereich auf; doch die Herausforderungen sind andere.

Wir haben positive Beispiele der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit – zwischen Deutschland und der Schweiz (bei der Risikobewertung von Druckfarben) sowie zwischen Dänemark und Frankreich (bei der Toxizitätsuntersuchung von Schadstoffen in Papier und Pappe) – kennengelernt. Es hat mich auch sehr bestärkt zu erfahren, dass der Leitfaden der EFSA zu Kunststoffmaterialien in vielen Fällen als Ausgangspunkt Punkt auf einer anhand experimenteller Daten erstellten Dosis-Wirkungs-Kurve, der zur Ableitung eines sicheren Grenzwerts herangezogen wird. für die Bewertung anderer Lebensmittelkontaktmaterialien diente.“

Die (mittlerweile ehemalige) Leiterin des EFSA-Referats Lebensmittelzutaten und -verpackungen, Dr. Claudia Heppner, wertete die Sitzung als Erfolg und freut sich bereits darauf, an die erzielten Fortschritte anknüpfen zu können. Dr. Eric Barthélémy, einer der treibenden Kräfte bei der Organisation dieses FIP-Netzwerks und ebenfalls bei der EFSA tätig, schloss sich ihr nachdrücklich an.

Dr. Heppner stellte fest: „In drei Bereichen sind die Entwicklungen auf nationaler Ebene besonders ermutigend: Beschichtungen, Papier und Pappe sowie Druckfarben. Wir wissen, dass einige Stoffe schon in den bestehenden Positivlisten für Kunststoffmaterialien aufgeführt sind. Zudem stehen für die künftige Arbeit bereits Hilfsmittel zur Verfügung, wie etwa eine belgische Datenbank und eine weitere Datensammlung aus Deutschland. Dennoch wäre es gut, noch mehr über einschlägige Forschungsprojekte in Erfahrung zu bringen und Forschungseinrichtungen darauf hinzuweisen, dass die EFSA Mittel für Forschungsarbeiten in diesen Bereichen bereitstellt.

Viele Risikobewertungsverfahren stützen sich auf die Leitlinien der EFSA sowie andere internationale Ansätze. Die EFSA aktualisiert derzeit ihre Leitlinien zu Materialien, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, und wir beabsichtigen, sie dem Netzwerk zu gegebener Zeit vorzustellen, um uns die Erfahrung und das Fachwissen seiner Mitglieder zunutze zu machen.

Wir planen bereits ein Folgetreffen für das erste Halbjahr 2015, um einen umfassenderen Überblick über die Risikobewertungsverfahren zu gewinnen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten angewandt werden.“